Ein armer Waschbär

Vor langer Zeit lebte in einem Land gar nicht weit von hier, in einem Haus mit einem wunderschönen Garten, ein Waschbär namens Horst.

Horst war unsterblich verliebt in seine blaue Zauberperle. Die Perle konnte sprechen und sie sagte eines Tages zu unserem Horst: “Horst du bist reich denn ich schenke dir etwas, was dir in der Not helfen kann. Du hast einen Wunsch frei, aber nutze ihn nur, wenn du ihn wirklich brauchst.”
Horst war völlig irritiert. “Ach meine allerliebste Perle, was sagst du nur”, erwiderte er. “Was soll ich mit einem Wunsch? Ich brauche keinen Wunsch. Mir geht es gut ich habe alles was ich brauche, denn das was ich brauche bist du meine Zauberperle.”

So verging einige Zeit und Horst wurde älter und eines Tages stellte er fest, dass er gerne eine Familie gründen würde, denn all seine Freunde hatten eine Familie mit Frau und Kindern. Deshalb sagt er zu seiner Zauberperle: “Ich habe dich total lieb, aber was soll ich machen? Ich bin ein Waschbär und ich muss eine Waschbärfamilie gründen. Ich hoffe, dass du das verstehen kannst. Sag mir, wie finde ich eine Waschbärfrau? Soll ich vielleicht jetzt meinen Wunsch äußern?”
Die Zauberperle sagte: “Du musst tun, was du für richtig hältst, aber denke daran, du hast nur einen Wunsch, also überlege dir gut, ob es jetzt notwendig ist.”
Da sagte Horst: “Ich glaube nicht, dass das jetzt notwendig ist, denn meine Freunde haben ihre Frauen ohne Zauberei gefunden. Also schaffe ich das auch. Ich werde einfach losgehen und eine Waschbärfrau für mich suchen.”
Gesagt, getan! Also machte sich Horst auf die Suche. Er setzte sich in sein Auto und fuhr nach Berlin.

Da er Berlin für den Nabel der Welt hielt und gehört hatte, dass es dort viele Bären geben sollte, suchte er auch zuerst dort. Aber leider vergeblich. Die Waschbären im Zoo oder Tierpark waren alle schon verheiratet und sonst gab es nur viele Braunbären. Deshalb beschloss er weiter hinaus in die Welt zu fahren. Aber welche Richtung soll er einschlagen Nord, Süd, Ost oder West? Und weil er sich nicht entscheiden konnte, malte er ein Kreuz auf die Erde, nahm einen Euro, warf ihn hoch in die Luft und wohin der Euro fiel, in dieser Richtung wollte er gehen. Der Euro fiel auf die Richtung Süden, also machte sich Horst auf den Weg nach Süden. Dort traf er Rusalka.

Sie war wunderschön, aber sie war ein Wassergeist, eine Meerjungfrau. Rusalka fand Horst total knuffig. Sie versuchte mit allen Mitteln ihn für sich zu gewinnen. Sie erzählte ihm wunderschöne Geschichten von den Wasserwelten und sie sang betörende Lieder. Aber Horst ließ sich nicht umgarnen. Er wurde immer trauriger und sagte zu Rusalka: “Du singst so herrlich und du bist wunderschön, aber du bist leider keine Waschbärfrau. Deshalb ziehe ich weiter in die Richtung wo die Sonne aufgeht.”
Er umarmte Rusalka zum Abschied und machte sich auf den Weg in Richtung Osten. Horst kam bis zur Oder und während er durch Polen reiste, schaute er nach links und nach rechts, aber er fand keine Waschbärfrau. Und plötzlich war er an der russischen Grenze und er wanderte weiter durch Weißrussland bis zum Uralgebirge. Dort, auf einem hohen Berg sah er in einem blattlosen Wald ein windschiefes Haus, das auf einem Hühnerbein stand und während er es noch staunend betrachtete öffnete sich mit lautem knirschen die Tür und es trat eine alte Frau heraus, die so gruselig aussah, dass man es kaum beschreiben konnte.

Ihre Kleidung bestand nur aus Lumpen. Eine schwarze Katze saß auf ihrem Buckel und starrte Horst mit feurigen Augen an. Das Haar der Frau war genauso schmutzig grau wie ihr Gesicht. Eine riesengroße Warze zierte ihre lange gebogene Nase. Sie stützte sich auf einen knorrigen Stock und versuchte mit ihrem krummen Finger unseren Horst zu sich zu locken. Mit knarzender Stimme sagte sie: “Ich bin Baba Jaga. Komm her du kleiner Kuschelbär. Du kannst bei mir bleiben. Du wirst es gut bei mir haben. Ich werde dich verwöhnen.”
Wie gelähmt starrte Horst geschockt die Frau an. Er konnte sich nicht bewegen und sein kleines Herz raste wie irre. Die Baba Jaga kam langsam näher. Die Katze auf ihrer Schulter fauchte ihn plötzlich an. Das riss ihn aus der Starre. Er drehte sich auf der Stelle um und rannte los. Er rannte, rannte und rannte und rannte und rannte so schnell ihn seine kleinen Füße trugen zurück zu seinem Auto, sprang hinein und raste los in Richtung Westen. Er fuhr ohne anzuhalten drei Tage lang. Als er endlich die Grenze nach Frankreich überschritten hatte traf er auf die Les Fées, die legendären französischen wunderschönen Feen.

 

Sie wollten ihn in ihr Märchenreich locken. Aber sie waren keine Waschbärenfrauen und als sie ihn fragten, ob er nicht mit ihnen kommen mag, schüttelte er nur den Kopf und ging still weiter. Horst war furchtbar traurig. Er nahm seine blaue Perle in die Hand und sagte zu ihr. “Ich bin so unglücklich. Ich möchte nicht mehr allein sein. Es gibt doch nichts Wichtigeres als die Familie. Jetzt habe ich nur noch eine Möglichkeit. Ich muss nach Norden gehen.”
Er streichelte seine blaue Perle und machte sich auf den Weg nach Norden, dorthin wo die Polarlichter am Himmel leuchten und dort fand er endlich seine Waschbärfrau. Sie sah bezaubernd aus und hieß Helga.

Es war Liebe auf den ersten Blick und so dauerte es nicht lange und sie gründeten eine Familie. Horst baute seiner Helga ein wunderschönes Haus mit einer großen Terrasse. Sie lebten glücklich und zufrieden und als dann endlich die Zwillinge Heinz und Heino da waren, schien ihr Glück komplett.

Eines Abends saß Horst mit Helga auf der Terrasse und bewunderte die Polarlichter am Himmel. “Die leuchten fast genauso schön wie meine blaue Perle”, sagte Horst.
Erschreckt stellte er fest, dass er vor lauter Glück mit seiner Familie seinen besten Freund, die blaue Perle vergessen hatte.
All die Jahre, die er mit seiner Helga zusammen war, hat er nicht einmal an seine Perle gedacht.
Er schämte sich und wurde sehr traurig. “Meine liebste Helga”, sagte er. “Damals, als wir beide uns kennenlernten, da hatte ich eine blaue Perle. Weißt du vielleicht wo sie ist?”
Helga streichelte seinen Arm und sagte: “Nein. Ich weiß leider nicht wo sie ist.”
Unser armer Horst saß still da. Tieftraurig fragte er sich immer wieder, wo die Perle nur sein könnte. Und dann fiel ihm ein, dass seine blaue Perle ihm einen Wunsch geschenkt hatte.
Er sah zu den bunten Polarlichtern hinauf und sagte: “Ich wünsche mir meine blaue Zauberperle zurück.”
Nichts geschah, doch plötzlich klingelte es. Er ging zur Tür und sah zu seinem Erstaunen seinen alten Freund Drops draußen stehen. Der begann sofort laut ihr altes Lied zu singen:
Waschbären sind die Besten,
im Osten wie im Westen.
Wir Waschbären sind nie allein,
wir werden immer Freunde sein.

Drops hielt ein Schild mit der Aufschrift: “Horst First” hoch. Das fand Horst so wunderbar, dass er Drops stürmisch umarmte.

Dann gingen sie zusammen in das Haus und Helga zauberte ihnen einen köstlichen Maisauflauf. Als sie mit essen fertig waren, sagte Drops: “Wollt ihr mir nicht mal eure Zwillinge zeigen?”
“Oh, die schlafen schon”, erwiderte Helga.
“Ich bin ganz leise. Versprochen.”
“Na gut, aber das Licht vom Flur muss reichen, damit sie nicht aufwachen.”
Ganz leise schlichen sie zum Kinderzimmer. Vorsichtig öffnete Helga die Tür. Alle waren total erstaunt über das, was sie da sahen. Es war, als würde ein Polarlicht durch das Kinderzimmer flimmern.

Das war wie ein Wunder. Die Zwillinge lagen eng aneinander gekuschelt und zwischen ihnen strahlte im schönsten blau der Welt, die Perle von Horst.
Sie glänzte, glitzerte, funkelte und leuchtete wie früher und tausendmal schöner als das Polarlicht. Horst nahm sie zärtlich in die Hand und sagte zu ihr: “Bitte verzeih mir. Ich werde ab jetzt immer auf dich aufpassen. Wir bleiben für immer zusammen.”
Und von da an war Horst kein armer Waschbär mehr, denn die Zauberperle gehörte jetzt, wie Helga und Zwillinge, auch zur Familie.

Für Betti
von
Bianka

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