Das Gruselhaus

Paula sitzt hier hinter einem Stapel Holzkisten und wartet. Nur ein halbrunder Klapptisch, dessen Platte mit der Hilfe eines Piratenbeins festgehalten wird und die Langeweile leisten ihr Gesellschaft. Eigentlich wollte sie mit den Jungs um die Häuser ziehen und Süßigkeiten sammeln, aber nun hat sie es sich hier gemütlich gemacht.

Draußen ist es schon dunkel.

Kleine Gespenster und Geister sind unterwegs und überall hört man sie rufen: “Süßes oder Saures!”

 

 

Geschnitzte Kürbislaternen leuchten in den Hauseingängen unserer feucht glänzenden Schloßstraße. Nur ein einziges Grundstück, das mit der Hausnummer drei, ist nicht beleuchtet. Alle Leute machen einen großen Bogen um das Haus, weil es so unheimlich ist. Und heute ist es besonders gruselig.

Vielleicht ist das Haus wirklich verflucht oder der Wind treibt sein Spiel mit dem löchrigen Dach, wenn er die bunten Blätter herumwirbelt und dabei heult wie ein Werwolf.

Gerade hat sich der Mond hinter den Wolken versteckt, als drei Jungs vor dem besagten Haus ankamen. Die eingesammelten Bonbons zogen ihre Hosentaschen schwer nach unten. Und da hingen auch ihre Herzen. Aber mit acht Jahren darf man noch Angst haben.

Justus betastet mit einer Hand die Bonbons und leckt sich nervös das Erdbeerblut von den Lippen, während seine andere Hand sich um das kalte Gitter des Zauns schließt.

“Wir hätten Paula mitnehmen sollen“, hört er Georg hinter sich.

“Spinnst du? Die verkleidet sich immer nur als Fee oder Elfe.“ Justus mustert das weiß angemalte runde Gesicht hinter Georgs beschlagener Brille. Rudis grün gefärbte Haut wirkt eher grau und Christophs silberner Umhang aus Vorhangstoff mit aufgeklebten Blutspuren sieht aus wie ein riesiges zerrissenes Spinnennetz.

“Mit einer Fee oder Elfe an der Seite würde ich leichter glauben, dass wir so wieder rauskommen, wie wir in das Haus reingehen“, sagt Christoph.

”Aber darum geht’s doch. Das man nicht so rauskommt, wie man reingegangen ist. Und außerdem ist Paula fast doppelt so alt wie wir!“

“Ja, eben. Mit einem Erwachsenen kann uns nichts passieren“, Rudis Stimme zittert ein wenig.

Justus verdreht die Augen. “Hört mal Jungs. Zwei Dinge: Erstens macht man eine Mutprobe ohne Erwachsene und zweitens zählt Paula echt nicht als Erwachsene, weil sie gerade mal einen Kopf größer ist als du, Rudi.“

“Also hätte sie doch dabei sein können, oder?”

“Hört auf zu quatschen und lasst uns endlich reingehen.“ Justus schiebt das Tor mit den eisernen Spitzen auf. Die rostigen Scharniere kreischen quietschend. Die Jungen stolpern auf dem grasbewachsenen Weg zum Eingang. Die Batterie in Rudis Kürbislaterne ist so schwach, dass das Licht flackert wie eine Kerze.

Es ist mucksmäuschenstill, als Justus die dicke Holztür aufdrückt. Unheimlich still.

“Hier müffelt es aber komisch.“

“Ja, wie Weihrauch.“

“Nee, irgendwie nach totem Tier.“

“Woher weißt du denn, wie totes Tier riecht?“

“Und wenn hier drin Jemand gestorben ist und der noch daliegt und es deshalb so stinkt?“ Rudis grüne Hand hebt die Lampe hoch. Georgs blasses Gesicht leuchtet wie ein Totenschädel.

“Was, wenn der Jemand nicht gestorben ist und noch hier wohnt und es trotzdem so stinkt?“ Die zitternden Silberfäden in Christophs Umhang lassen Lichtpunkte wie Geister durch den Raum irren.

“Seht ihr was?”

“Sieht aus wie ein verlassener Lagerraum. Nur Holzstapel mit alten Kisten. Das ist ja langweilig.“ Justus wagt sich ein paar Schritte in den Raum. Zögernd folgen ihm die anderen.

“Habt ihr das gehört? Da hat jemand gekichert?“ Justus‘ Stimme klingt ganz schrill.

“Und dahinten leuchtet was.“ Rudi hält sich an Justus fest. Die Laterne in seiner Hand flackert und wirft gespenstige Schatten an die Wände.

Etwas klappert in der Ecke. Und plötzlich poltern die Kisten durch die Gegend und ein großes weißes Gespenst fliegt mit ausgebreiteten Armen den Jungs entgegen und schreit laut: “Buuuhhh!“

“Aahh, Hilfe. Mama!“

“Los raus hier!”

Sie schreien vor Angst. “Wo ist die Tür?”

Die Jungen purzeln durcheinander, die Lampe fällt runter. Jetzt ist es stockdunkel.

“Hilfe! Ich will raus!”

Mit einemmal wird es hell. Im Schein einer Taschenlampe liegen die Jungs eng aneinander gedrückt mitten im Raum.

“Das ist Paula!“, schreit Georg, sein Gesicht sieht fast so grün aus wie Rudis Haut.

Christoph hockt noch am Boden und versucht, aus dem verhedderten Umhang aufzustehen.

“Das ist so gemein von dir!” Justus wirft Paula vorwurfsvolle Blicke zu.

“Wieso gemein? Ich wollte euch nur eine Lehre erteilen, weil ihr mich nicht mitnehmen wolltet, obwohl wir seit Jahren zusammen Spaß haben. Von wegen, Paula ist zu alt für solche Sachen.“

 

Die Bilder zu dieser Geschichte hat meine Enkeltochter Helena gemalt.

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