Wen der Esel stupst

Die Buttge war ungehalten. Sie konnte es nicht leiden, wenn so viele Menschen unterwegs waren.
Und dann noch diese Zirkusleute, die mit ihrer Musik durch die Fußgängerzone turnten!


Was die für´n Krach machen! Das müsste verboten werden!
Mit ihrem Rentnermercedes bahnte sie sich einen Weg durch die Menge.
Warum hab ich bloß die Milch vergessen? Ich könnte jetzt so schön vor meinem Fernseher sitzen!
Plötzlich stupste sie etwas von hinten. Erschrocken fuhr die Buttge herum. Da stand ein Esel mit Strohhut und blickte ihr arglos in die Augen. Daneben eine kleine, seltsam bunt gekleidete Frau.
“Nehmen Sie doch das stinkende Vieh weg!“, schnauzte die Buttge sie an.
Die Frau lächelte nachsichtig.
“Wen der Esel anstößt, dem sage ich die Zukunft voraus“, sagte sie mit geheimnisvoller Stimme, ergriff die Hand der Buttge und orakelte: “Sie werden heute eine Enttäuschung erleben.“
„Wat´n, jibts keene Milch mehr?!“, fauchte die Buttge.
„Sei´n sie doch nicht so unfreundlich. Wir tun Ihnen doch nichts.“
„Ach, lasst mich doch alle in Ruhe!“

Die Buttge zog ihren Wagen weiter.
Bei Aldi holte sie Milch aus dem Kühlregal und stellte sich an der Kasse an.
Hoffentlich sind die Zwerge weg, wenn ich hier wieder rauskomme!
Aber Pech gehabt! Die Zirkusleute führten in der Fußgängerzone einige Kunststücke vor.
Die Buttge drängte sich ungeduldig durch die Menschenmassen, die sie umringten. Plötzlich bückte sich eine elegante Dame vor ihr und hob etwas auf.

“Sehen Sie mal, was ich hier gefunden habe!“
Sie hielt der Buttge einen goldenen Ring entgegen.
“Haben Sie ein Glück!“
Das ist also die Enttäuschung, dachte wütend die Buttge.
“Wieso Glück?“ Die Frau runzelte die Stirn. “Was soll ich denn mit dem hässlichen Ding?“
“Den Ring können Sie doch verkaufen“, erwiderte neidisch die Buttge.
“Wem denn? Wollen sie ihn vielleicht haben?“
Die Frau drückte der Buttge den Ring in die Hand.
Die spürte das Gewicht und sah den Stempel im Ring.
Das ist echt Gold, dachte sie und fragte: “Wat woll´n se´n dafür haben?“
„Ich weiß auch nicht…“ Die Elegante überlegte. “Vielleicht 20 Euro? Oder ist das zu viel?“
“Nein, nein.“ Die Buttge kramte das Geld aus ihrem Portemonnaie, drückte es der Frau eilig in die Hand, hauchte noch ein: “Danke“, und machte sich mit ihrer Beute davon.
Die dumme Kuh hat ja überhaupt keine Ahnung, was für eine Kostbarkeit sie da verschleudert hat! Meine Güte! Leute gibt´s!
Beim Juwelier blieb sie stehen und betrachtete verlangend die glänzenden Schmuckstücke im Schaufenster. Dann blickte sie auf den Ring. 585ziger Gold. Wie viel werde ich wohl dafür bekommen?
Die Türklingel tönte wie ein Weihnachtsglöckchen, als die Buttge voller Vorfreude das Geschäft betrat.
Sie legte ihren Schatz auf die Ladentheke.
Der Goldschmied nahm den Ring in die Hand und betrachtete ihn durch eine Lupe. Dann sah er die Buttge an.
“Der Ring… den haben sie doch eben erst gekauft, oder?“
“Wie kommen Sie denn darauf?!“
“Sie haben ihn doch von einer Frau für 20 Euro gekauft?“ der Juwelier reichte der Buttge den Ring.
Sie starrte ihn mit großen Augen an.
“Es tut mir leid, aber der Ring ist unecht. Sie sind heute schon die vierte, die auf den Schwindel hereingefallen ist.“
“Aber, die Dame sah so elegant aus!“, protestierte die Buttge.
“Tja, das soll vorkommen“, sagte der Juwelier.
Wütend zog die Buttge die Tür hinter sich zu.
Draußen marschierte mit Tschingderassassa die Zirkuskarawane vorbei, mitten in der bunten Truppe die kleine Frau.
Sie winkte der Buttge zu, lüpfte den Hut des Esels, und rief: “Schönen Tag noch!“

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