Eindeutig privat

Das kann doch nicht wahr sein! Welcher Idiot … Die Buttge starrt aus dem Fenster auf die offene Schranke, dann auf ihren Parkplatz – da steht ein fremdes Auto, obwohl ganz deutlich Privat dransteht.


Können die Leute nicht lesen? Ich habe extra auf der Straße geparkt, weil mein Sohn mir die Einkäufe vorbeibringen will.
Na, es ist ja noch etwas Zeit.
Eine halbe Stunde später ist die Schranke zwar zu, aber das Auto steht immer noch da.
Die Buttge zieht ihre Jacke an und geht zum Parkplatz. Manchmal legen ja die Leute einen Zettel mit ihrer Telefonnummer hinter der Windschutzscheibe.
Leider ist nichts zu sehen.
Nur auf dem Rücksitz liegt ein Stapel Aktenordner und Klemmmappen. Ein paar Blätter sind rausgerutscht.
Ohne Brille kann sie nicht lesen, was draufsteht. Sie nimmt ihr Handy aus der Jackentasche, fotografiert die Papiere und vergrößert das Bild.
Jetzt erkennt sie deutlich den Namen, die Adresse und den übrigen Text. Da ist von einer Summe die Rede, mit der könnte sie glatt drei Jahre lang ihren Parkplatz bezahlen.
Ganz schön leichtsinnig, das alles so offen liegen zu lassen.
“Was machen Sie da mit dem Handy an meinem Auto?“, fragt hinter ihr eine männliche Stimme.
“Sehen Sie doch. Fotografieren, was sonst.“
“Was haben Sie fotografiert?“
“Na was wohl? Ich bin Naturforscherin, und auf meinem Parkplatz fotografiere ich immer Schmetterlinge. Oh, da ist ja wieder einer.“
“Lassen Sie das!“, faucht er sie an.
Der kleine graue Mann schiebt sich an Frau Buttge vorbei, öffnet die Beifahrertür, zieht sich betont langsam den Mantel aus und faltet ihn sorgfältig zusammen. Dann das gleiche mit dem Schal.
Langsam kocht die Wut in Frau Buttge hoch.
“Können Sie mir mal die Schranke aufmachen?“, fragt er unfreundlich.
“Das Zauberwort heißt: bitte.“
“Was soll das? Sind wir hier im Kindergarten?“
“Sie haben aber schon mitbekommen, dass das hier ein Privatparkplatz ist?“ fragt Frau Buttge.
“Wo steht das?“, erwidert er mürrisch.
Sie zeigt zur Schranke. “Da steht es ganz groß.“
“Aber nicht hier am Parkplatz.“
“Ich hätte Sie abschleppen lassen können.“
“Hätten Sie, wäre aber ganz schön teuer für Sie geworden. Haben Sie mein Auto fotografiert?“
“Machen sie sich mal keine Sorgen. Ich weiß genau, was tabu ist.“
Die Buttge steckt das Handy in ihre Jackentasche.
“Ach ja? Na dann machen Sie mal schnell die Schranke auf, sonst zeige ich Sie an, wegen Freiheitsberaubung“, sagt der graue Mann und seine wässrig blauen Augen funkeln triumphierend.
Was bildet sich dieser arrogante Typ ein? Dem werde ich’s zeigen: “Ach, was ich Sie noch fragen wollte: Waren sie eigentlich schon im Norden?“
“Wo?“
“Na, in Heiligensee.“
“Wie … wie … wieso fragen Sie mich das?“
Jetzt habe ich endlich seine volle Aufmerksamkeit.
Ich grinse: “Naja, ich dachte, wegen dem Termin in der Reiherallee.“
Er stottert: “Was … wie … was wollen Sie von mir?“
“Ich will eigentlich nur wissen, ob der Herr Steffen zahlen konnte. Oder hat er die Hand gehoben und einen Offenbarungseid geleistet? Ist ja eine ganz schöne Summe. Und die Zinsen noch dazu.“
“Wie kommen Sie darauf?“
“Ach, ich frage mich, was wohl Ihr Chef davon hält, wie Sie mit vertraulichen Akten umgehen, Herr Gerichtsvollzieher.“
Sie zeigt auf den Rücksitz seines Autos.
Er wird kreidebleich.
Die Buttge lächelt nur, dreht sich um und geht zur Schranke.

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