Echter Bohnenkaffee

Die Tür wurde aufgerissen. Eine vornehm gekleidete Dame hob ihren Koffer in das Abteil und kletterte hinterher, während sich der Zug in Bewegung setzte.

Ich hatte es mir, neben meiner Schwester, am Fenster bequem gemacht und blickte hinaus.
Berlin-Spandau stand auf dem Schild. Letzter Bahnhof im englischen Sektor, ging es mir durch den Kopf, während die Frau sich vergeblich bemühte den schweren englischen Damenkoffer in das Gepäcknetz zu hieven. Endlich erbarmte sich ein junger Mann.
Ida stupste mich an und flüsterte: “Guck mal Margot, der Koffer ist aus Krokodilleder, bestimmt sau-teuer. Schau Dir mal die Nähte an, die großen Stiche, der ist randgenäht.“
“Ach Ida, Du hast vielleicht Probleme, als wenn es nichts Wichtigeres gäbe.“
“Wo fahren sie denn hin?“ fragte die feine Dame.
“ Nach Kyritz“, antwortete ich.
“Kyritz an der Knatter?“, fragte der junge Mann und grinste.
“Da hat sich der weite Weg wohl nicht gelohnt?“
Die Dame zeigte auf Idas kleine Einkaufstasche.
Natürlich erzählte ihr Ida dann, dass wir bloß nach Westberlin gefahren waren, um Kaffee zu kaufen – echten Bohnenkaffee, denn am 15.Oktober war ja ihre Silberhochzeit und die sollte diesmal mit allem drum und dran gefeiert werden, nicht wie damals 1929 die Hochzeit, mitten in der Weltwirtschaftskrise.
“Den Kaffee haben sie doch nicht in der Tasche?“ fragte die Dame.
”Doch“, nickte Ida.
“Aber die Taschen werden von den Vopos als erstes durchsucht und Sie wissen doch, dass es verboten ist, Kaffee mit in den Osten zu nehmen.“
Ida machte großen Augen.
“Aber, wo soll ich den denn verstecken?“
“Schieben Sie ihn doch in den Ärmel“, sagte der junge Mann zu Ida.
“Das geht nicht. Der ist zu eng.“
Die Dame blickte Ida von oben bis unten an, dann zeigte auf Idas Hut: “Dort.“ und die anderen Passagiere nickten zustimmend.
Ida nahm ihren Hut ab und sie versteckten den Kaffee darin. Dann hat Ida den Hut wieder aufgesetzt – ihren wunderschönen blauen Filzhut, der aussah, wie ein umgedrehter Blumentopf, mit einer großen Schleife an der Seite und der so gut zu dem Fischgrätenmuster ihres Mantels passte.
Der Zug hielt kurz darauf in Falkensee, erster Bahnhof im Osten, und wie zu erwarten war, stieg ein blau Uniformierter ein.
“Oh, hier riecht es aber ganz schön nach Kaffee“, sagte er, “Wer hat denn welchen?“
Die nette vornehme hilfsbereite Dame zeigte auf Idas Kopf und sagte: “Die hat welchen unter ihrem Hut versteckt.“
Es war, als hätte der Blitz eingeschlagen. Schweigend sahen alle zu, wie Ida ihren Hut abnahm und dem Uniformierten den Kaffee reichte. Der Vopo nahm ihn wortlos in Empfang. An der nächsten Haltestelle, in Finkenkrug, stieg er aus.
Der Zug fuhr wieder an. Im Abteil war nichts weiter zu hören, als das rattern der Räder.
Ida hielt ihren Hut krampfhaft auf dem Schoß fest, während ihr die Tränen über das Gesicht liefen. Alle guckten auf die vornehme Dame. Es war ganz still.
Verächtlich beobachtete ich, wie die feine Dame plötzlich aufstand und versuchte ihren Koffer, ihren vornehmen englischen randgenähten Koffer, aus dem Gepäcknetz zu zerren. Dieses Mal half ihr keiner. Mit sichtlicher Mühe gelang es ihr endlich und sie stellte das edle Ding achtlos auf den Boden.
“Nun weinen Sie mal nicht. Es ist ja alles halb so schlimm“, wandte sie sich an Ida.
Dann öffnete sie ihren Koffer und man konnte es kaum glauben, der ganze Koffer war voller Kaffee, echtem Bohnenkaffee.
“Es wäre doch viel schlimmer gewesen, wenn sie mich erwischt hätten“, sagte Dame, nahm zwei Pakete raus und reichte sie Ida.

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