Der richtige Weg

„Tina, Tina.“
Das Flüstern meines Namens und ein leichtes Rütteln an meiner Schulter wecken mich.
Es ist dunkel im Schlafzimmer und ich brauche einen Moment um mich zu orientieren. Als ich hoch sehe, wähne ich ganz nah, das verhasste Gesicht meines zukünftigen Exmannes, gespenstisch diffus. Sein Atem stinkt widerlich nach Bier und Zigaretten. Er zischt mich an: „Komm, steh uff.“

Diesen Satz habe ich oft während unserer Ehe gehört und jedes Mal graute mir vor dem, was dann kam. Aber jetzt…
Ich sehe nach links. Da liegt unser jüngstes Kind und schläft. Vorsichtig schiebe ich meine Zudecke beiseite, stehe leise auf und folge ihm in das Wohnzimmer.
Für einen Augenblick bleibe ich stehen. Es wie genau wie früher. Leere und volle Bierflaschen liegen durcheinander auf dem Fußboden rum. Die Luft ist zum schneiden. Auf dem Tisch stehen neben einem überquellenden Aschenbecher und der halbleeren Whiskyflasche, zwei kleine gefüllte Gläser.
Schlüpferstürmer hatte das meine Freundin genannt, als sie mich einmal gefragt hatte, ob er mir immer Alkohol andreht, wenn er etwas von mir will.
Ja, Schlüpferstürmer…
„Komm setz dich“, sagt er, drückt mich auf das Sofa, fläzt sich mir gegenüber in den Sessel und starrt mich.
Dann schiebt er mir ein Glas rüber.
„Hier, dit ist richtig guter Whisky. Prost.“ Er hebt sein Glas: „Wattn, willste nich? Na gut, dann eben nich.“
Er trinkt sein Glas aus, setzt eine der Bierflaschen an den Mund und säuft sie in einem Zug halb leer.
„Weeßte, ick hab mir Jedanken jemacht“, lallt er. „Wir hatten doch eijentlich eene jute Zeit.“
Habe ich richtig verstanden? Gute Zeit? Von wegen. Diese Zeit muss ich wohl vergessen haben.
„Und da hab ick mir jedacht“, er rülpst. „Weil, wir haben ja heute alles gütlich jeregelt.“
Das ist doch nicht sein Ernst? Wir haben – gütlich? Geregelt? Ich habe doch bei allem nachgegeben, nur damit ich meine Ruhe habe.
„Na ja, und da hab ick mir jedacht“, stammelt er weiter. „Na ja, wir könnten doch heute, du vastehst schon, wat ick meine.“
„Du meinst, wir könnten miteinander schlafen?“
„Na ja, nicht unbedingt schlafen, du vastehst schon“, er grinst dümmlich. „Und wir sind ja noch vaheiratet, oder? Und dit war doch immer so schön mit uns.“
Schön? Mit uns? Schön soll das gewesen sein, wenn er sich auf mir selbst befriedigt hat?
„Wat is nu Tina?“
Ich überlege wie ich ohne lange Diskussion aus dieser Situation rauskommen kann und dann sage ich: „Na ja, es wäre schon ganz nett, aber so einfach geht das nicht.“
„Wat, wieso, warum denn nich?“
„Na ja, wir leben ja in Scheidung und sind schon ein Jahr getrennt. Jetzt bist du für mich ein fremder Mann und da ist das eben wie mit den anderen Männern.“
„Wat für andre Männer?“, er sieht mich irritiert an. „Wie ist dit mit den andern Männern?“
„Ganz einfach. Weil du mir nicht regelmäßig Geld für die Kinder gibst, müssen die anderen Männer bezahlen, wenn sie mit mir Sex haben wollen und das musst du jetzt auch.“
„Und wat kostet dit?“
„Du bekommst einen Freundschaftspreis. Sagen wir: 100 Mark.“
„100 Mark?“ Er glotzt mich fassungslos an. „Ick komm gleich wieda“, sagt er, steht auf und verlässt kopfschüttelnd das Zimmer.
Eine Minute später öffnet er die Tür und sagt, dass er müde ist und in sein Zimmer schlafen geht.
Ich wünsche ihm eine gute Nacht und nach dem er die Tür geschlossen hat, nehme ich das Glas mit dem Whisky, lehne mich auf dem Sofa zurück und lächle in mich hinein, habe ich doch den richtigen Nerv bei ihm getroffen. Sein Geiz war schon immer stärker, als seine Geilheit. Du bist auf dem richtigen Weg, Tina. Mach weiter so. Ich proste mir zu und trinke voller Genuss.


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