Schneehase

Vor zwei Tagen war die Wintersonnenwende und heute ist die erste der Rauhnächte. Und heute ist auch der Tag der Geschenke.
Leise sanft, fast schwerelos gleitet der zarte Schnee zur Erde und hüllt die Bäume in seine weiße Pracht.

Das Abendrot haucht auf die reine Herrlichkeit einen zartrosa Ton, die Erde errötete, wie ein jungfräuliches Mädchen beim ersten Kuss. Selbst das süße winzige kleine Schneehäschen errötet ob dieses Glanzes und seine leuchtenden Knopfaugen blinzeln munter aus dem rosa Fell hervor. Plötzlich hebt es seine flauschigen Lauscher. Aus der Ferne erklingt ein liebliches Glockengebimmel, welches immer näher kommt und sich bald mit dem Getrappel von Hufen vermischt.
Ein Schlitten, gezogen von sechs Rentieren kommt hinter den Bäumen hervor. Das Schneehäschen bleibt wie gebannt sitzen. So etwas Schönes hat es noch nie gesehen. Seine kleinen Äuglein sind vor Staunen ganz groß. Der Schlitten ist aus purem Gold, geschmückt mit samtenen grünen Tannenzweigen und pinkfarbenen Rosen. Auch die Rentiere sehen zauberhaft aus. Jedes hat einen funkelnden Stern auf seiner Stirn. Und in dem Schlitten sitzt ein Wesen, eingehüllt in schneeweißem Bärenfell und gekrönt von einer roten Mütze. Es war die größte Pracht. Doch nein, es ist nicht der Weihnachtsmann. Ein garstiger kleiner Zwerg lugt aus dem weißen Pelz hervor. Die Hände unter dem Fell verborgen. Sein zerknittertes Gesicht, mit dem langen zerzausten Bart sieht echt grausig aus. Als er das kleine entzückende Hasilein sieht hält er den Schlitten an. Er verzieht sein Froschmaul zu einer fürchterlichen Grimasse (was wahrscheinlich ein Lächeln darstellen soll) und fragt das Hasimausi von oben herab, mit knarzender Stimme: „Wo sind die vergessenen Kinder?“
Piepsend antwortet das Häschen: „Sie…sie…sie… sind auf dem Weg zum Tal des Trostes.“
„Und wo ist das Tal des Trostes?“
„I…i….ich weiß nicht. I….i….ich habe es vergessen“, das Hasi zittert so sehr, dass der Schnee von den Bäumen stiebt, so, dass die Sonne für einen Moment hinter dem Gestöber verschwindet und die Erde in Dunkelheit hüllt.
Als es wieder hell wird kann man sehen, dass das Gesicht des Zwerges vor Wut rot geworden ist und seine Nase glüht mit der von Rudolph, dem Rentier um die Wette. Die haarige Hand des Bösewichts, fährt mit den spitzen Fingernägeln, unter der Decke hervor und schnappt das Schneehasi bei den Plüschohren, wirbelt es drei Runden über seinem Kopf, schleudert es durch die Luft und ruft mit dunkler beschwörender Stimme: „Fliege in die Richtung des Tales.“
Dann lässt er los und das Hasi fliegt unzählig Kilometer weit. Bloß gut, dass so viel feiner weißer Pulverschnee da liegt, wo das Häschen landet, sonst hätte es sich sehr weh getan.
Kaum liegt das Hasi auf der Erde, gibt der Häßling den Rentieren die Peitsche und die rasen los. Hui wie fliegt da der Schnee nach rechts und links. Es sieht aus, als würde Frau Holle mit zehn Helfern ihre Betten schütteln.
Der Unhold schreit: „Ho, ho rennt ihr elenden Viecher!“ Und er schlägt immer weiter auf die Ärmsten ein und die armen Rentiere rennen um ihr Leben, der Spur des Hasis hinterher.
„Beeilt Euch, ihr Satanspack. Ich habe bloß die Rauhnächte um den Schatz zu finden, welcher nur von unschuldigen Kindern geborgen werden kann. Die vergessen Kinder werden so enttäuscht sein, wenn sie keine Geschenke bekommen. Und dann kann ich sie verzaubern, damit sie den Schatz des Weihnachtsmannes für mich finden. Sputet euch!“ Schreit er und haut mit der Peitsche zu.
Das Hasi aber bleibt nicht lange im Schnee liegen. Es rappelt sich schnell wieder auf, schüttelt sich kurz und rast wie der Blitz in das Tal des Trostes. Es weiß, dass dort die Kinder immer noch voller Hoffnung warten, dass der Weihnachtsmann kommt und sie nicht vergessen hat.
Und es ist so. Die Kinder sitzen eng aneinander geschmiegt und wärmen sich gegenseitig. Voller staunen hören sie, was das Hasi zu berichten hat. Dann schmieden sie einen Plan. Sie knüpfen ihre Jacken und Mäntel zu einer großen Decke zusammen, füllen sie mit Schnee und hängen sie zwischen Bäume am Eingang des Tales. Zwei Kinder sitzen hoch oben in den Bäumen, halten die Decke fest und als der Unhold mit dem Schlitten durchfährt lassen sie die Decke los und der ganze Schnee fällt auf den Zwerg. Die Kinder überwältigen ihn. Und als sie dann erfahren, warum er den Schlitten vom Weihnachtsmann geklaut hat, halten sie sich vor Lachen die Bäuche. Es weiß doch jedes Kind, dass der größte Schatz von Weihnachten die Liebe ist.

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